“ Lesen Sie mehr mit Ihrem Kind!“ Eltern von leseschwachen Kindern können diese Aufforderung nicht mehr hören. Das haben sie nicht schon oft gehört, sondern auch oft ausprobiert. Doch in der Praxis ist es gar nicht so einfach, ein Kind dauerhaft zum Lesen zu motivieren. Schließlich gibt es ja einen Grund, warum ein Kind nicht gerne und nicht gut liest.
Lesemotivation verstehen lernen
Probiere es doch mal mit den folgenden Anregungen. Aus meiner lerntherapeutischen Praxis kenne ich viele Mütter (leider sehr viel seltener Väter), die sich immer wieder um die Lesemotivation ihrer Kinder bemühen. Besonders nach einem Lehrergespräch oder einer schlechten Klassenarbeit nehmen sie sich vor, ihr Kind noch besser zu fördern. Doch Lustlosigkeit, Zeitdruck und fehlende Motivation bei Tochter oder Sohn führen schnell dazu, die guten Vorsätze zur Seite zu legen. Ohne einen Plan ist es sehr schwierig, die Leseübungen in den Alltag einzubauen.
So forderst und motivierst du dein Kind zum Lesen
Wenn einem Kind die Lesemotivation fehlt, dann kann sich das zu einer zähen und langwierigen Aufgabe entwickeln. Viele Eltern machen sich nicht klar, dass es mit sporadischen Aufforderungen nicht getan ist. Kinder benötigen ganz konkrete Tipps und Hilfestellungen. Leseschwachen Kindern fehlen die Erfolgserlebnisse, die eine spannende Geschichte auslöst. Ihnen fehlt die Lesemotivation. Sie quälen sich durch Wörter und Sätze, versuchen Zusammenhänge zu verstehen und ihr Lesetempo zu erhöhen. Der unterhaltsame Aspekt des Lesens ist ihnen fremd.
Jedes Kind spricht anders an
Deswegen sollte das Lesen ganz selbstverständlich im Alltag des Kindes eingebaut werden. Es ist nicht möglich, einen Leseplan zu erstellen, der auf jedes Kind passt. Die folgenden Situationen stellen eine Auswahl dar, die möglicherweise in deiner Familie passen könnten. Suche dir sich die Situationen aus, die ihr am leichtesten umsetzen könnt. Versuche dann, die Leseübungen möglichst jeden Tag umzusetzen.
Mit dieser Vorlage schnell und einfach ein Lesetagebuch erstellen
7 Alltagssituationen, die du nutzen kannst
Lese-Situation | Lesemotivation |
Frühstück | Dein Kind sitzt gerne gemütlich am Frühstückstisch und nimmt sich viel Zeit fürs Essen? Dann kann es vielleicht zu seinem Kakao auch etwas aus der Tageszeitung vorlesen. |
Mittagessen | Nach dem Essen sitzt deine Familie gerne noch etwas zusammen und unterhält sich? Eine schöne Gelegenheit, um reihum etwas vorzulesen. |
Hausaufgaben | Dein Kind macht seine Hausaufgaben zügig und hat Spaß am Lernen? Dann ist es der richtige Zeitpunkt, um jeden Tag noch 10 Minuten Lesen anzuhängen. Nutze dazu die Lesemauer. |
Fernsehen oder den Computer | Dein Kind freut sich jeden Tag darauf, seine Freizeit mit einem Film oder einer Episode seiner Lieblingsserie zu krönen? Dann mache die Bildschirmzeit davon abhängig, dass dein Kind dir 10 Minuten vorliest. Auch hier ist die Lesemauer hilfreich. |
Abendessen | Vielleicht ist vor dem Zubettgehen noch etwas Zeit zum gemeinsam Spielen? Dann wähle Spiele, bei denen die Teilnehmer etwas vorlesen müssen, wie bei einem Quiz. |
Schlafenszeit | Dein Kind geht gerne zu Bett und beschäftigt sich dann noch eine Weile? Dann ist das eine gute Möglichkeit, sich gegenseitig etwas vorzulesen. |
Wochenende und Ferien | In der Woche ist dein Kind total eingespannt und findet keine Zeit, sich in Ruhe mit dem Lesen zu befassen? Dann solltest du jedes Wochenende und in den Ferien unbedingt Zeit dafür reservieren, gemeinsam ein schönes Buch zu lesen und darüber zu sprechen. |
Mein Spieltipp: Die Reihe Anno Domini für Kinder und Erwachsene ab ca. zehn Jahren bietet eine Vielzahl von unterhaltsamen Themenbereichen an. Bei diesem Quiz werden jeweils Ereignisse vorgelesen und müssen in der richtigen zeitlichen Reihenfolge abgelegt werden. Die Lesemotivation wird nebenbei erhöht, der Spielspaß steht im Vordergrund.
Die Lesefähigkeit deines Kindes verbessert sich nur durch konsequentes Üben
Egal für welche Variante du dich entscheidest, ohne Konsequenz geht es nicht. Das kann am Anfang schon mal schwierig werden, denn nicht immer kannst du dein Kind für das regelmäßige Lesen begeistern. In diesem Fall ist dein Durchhaltevermögen gefragt. Möglicherweise unterstützt du deine Anstrengungen mit einem Belohnungsplan. Weigert sich dein Kind anfangs, selber zu lesen, nutze die Zeit zum Vorlesen. Fordere dein Kind aber immer wieder auf, selber etwas zu lesen. Bleibe dabei geduldig und lass dich nicht abbringen. Mit Sicherheit wird der Zeitpunkt kommen, an dem dein Kind seine Abneigung überwindet und selber Fortschritte feststellt. Das steigert seine Lesemotivation nach und nach.
Zum Lesen motivieren: So kann es mit einem neuen Lernkonzept klappen
Besonders bei Sachtexten ist es wichtig, den Inhalt richtig zu verstehen. Aber auch Erlebniserzählungen und Romane machen keinen Spaß, wenn dein Kind wichtige Details überliest oder Schlüsselszenen nicht versteht. Hinzu kommen Misserfolgserlebnisse in der Schule und Stress zu Hause. Wenn ein Kind in der Folge das Lesen verweigert, nützen auch die besten Lerntipps nichts.
Zu allererst muss die Lesemotivation wieder aufgebaut werden. Nicht nur in der Schule, sondern auch in der Freizeit wird dein Kind mit den unterschiedlichsten Textformen konfrontiert. Je größere Probleme es hat, die Inhalte und Aussagen der Texte zu verstehen, desto mehr wird es künftig das Lesen vermeiden. Genauso wie die elfjährige Svenja, mit der ich seit kurzer Zeit lerntherapeutisch arbeite.
Mit der Motivation zum Lesen fängt es an
“ Früher konnte ich meine Tochter noch gut motivieren, kleine Zettel zu lesen oder das Fernsehprogramm zu verstehen. Inzwischen lehnt sie fast alles ab, was mit Lesen zu tun hat. In Deutsch bekommt sie eine schlechte Note nach der anderen, denn ohne Lesen geht in diesem Fach ja gar nichts.“ Svenja Mutter ist verzweifelt, als sie ihre Tochter in der Lerntherapie vorstellt. Das Thema Lesen ist ein Dauerstreit in der Familie, und für die Elfjährige mit vielen Misserfolgen besetzt. Das werden wir mit einem kleinschrittigen Lernprogramm verändern. Zuerst hole ich das Einverständnis des Mädchens ein.
Vier Motivations-Vorschläge
4 Methoden im Überblick, von denen jede eine Woche lang ausprobiert werden sollte.
- Papas Methode: Wenn´s am spannendsten ist….
Jeden Abend etwas vorlesen und aufhören, wenn es am spannendsten ist.
(Lese-Motivation fördern durch Spannung und Neugier)
- Mamas Methode: Mein Buch über dich
Ein persönliches Lesebuch für das eigene Kind schreiben, das seine Erlebnisse und Gefühle beschreibt.
(Lese-Motivation fördern durch eine ganz persönliche Geschichte)
- Welches Buch bekommt Natalie?
Lesen mit einer verantwortungsvollen Aufgabe verbinden, zum Beispiel ein Buch für ein jüngeres Kind auszusuchen.
(Lese-Motivation fördern durch Übertragung von Verantwortung)
- Hugo liest an verschiedenen Orten
Lesen mit abwechselnden, ungewöhnlichen Orten verbinden, um den Einstieg zu erleichtern.
(Motivation fördern durch ungewöhnliche Leseorte, z.B.)
- in der Badewanne
- am Esstisch
- im Bett
- im Schaukelstuhl
- auf der Toilette
- mit der Taschenlampe unter der Bettdecke
- auf dem Sofa
Protokoll der Lesemethoden-Ergebnisse – jeweils 0 bis 5 Punkte vergeben
Bewertung Kind
Methode | Spaß | Lesepensum | Buchauswahl |
Spannung | |||
Persönliches | |||
Verantwortung | |||
Leseort bester: ____________ |
Bewertung Eltern
Methode | Spaß | Lesepensum | Buchauswahl |
Spannung | |||
Persönliches | |||
Verantwortung | |||
Leseort bester: ____________ |
Auswertung:
Beste Methode: ______________________________
Bester Leseort: ______________________________
Probiere es mit einem Lernvertrag
Svenja kann mit ihrer Mutter überhaupt nicht mehr über das Thema Lesen reden, ohne sich zu streiten. Sie steckt in einem Teufelskreis aus Versagensangst, Misserfolg und Schuldgefühlen. Ich kann Mutter und Tochter davon überzeugen, dieses Thema künftig aus ihrem Alltag auszugrenzen. Für das Lesen bin ab sofort ich zuständig. Meine Rolle könnte auch ein anderes Familienmitglied übernehmen, ein guter Freund oder die Großeltern. Hauptsache, das Lesen wird nicht mehr negativ besetzt.
Svenja lässt sich auf ein neues Lernkonzept ein
Zunächst appelliere ich an die Selbstständigkeit der Schülerin. Svenja gibt schnell zu, dass sie gerne besser lesen würde. Allerdings hat sie keine Hoffnung, den Leseanforderungen der fünften Klasse genügen zu können. Sie liest stockend und langsam, eher wie ein Kind in der dritten Klasse. Schritt eins unseres Lebensplans ist das tägliche Lesen.
- Svenja wählt sich einen einfach geschriebenen Kinderroman aus, von dem sie jeden Abend mindestens zwei Seiten liest. Dabei wird sie nicht von ihrer Mutter kontrolliert. Am nächsten Tag oder noch am gleichen Abend verschickt sie eine kurze Sprachnachricht an mich, indem sie den Inhalt des gelesenen Textes wiedergibt.
Nach dem Svenja auf diese Art und Weise innerhalb von zwei Wochen ein ganzes Buch gelesen hat, gehen wir zum nächsten Schritt über. Schon in dieser kurzen Zeit ist ihr Stil etwas flüssiger geworden.
- Die nächsten täglichen Lesehausaufgaben sind Sachtexte, die wir aus einem Grundschullexikon nehmen. Jeden Abend wählt Svenja sich einen Begriff aus, den sie nicht kennt. Dann liest sie die kurze Erklärung konzentriert durch, und versucht den Text wiederum in einer Sprachnachricht mit eigenen Worten wiederzugeben.
Nach und nach werden die Aufgaben anspruchsvoller. Nach dem Svenja ein halbes Jahr lang jeden Abend selbstständig gelesen hat, ist sie viel besser geworden. Nun folgen auch Erfolgserlebnisse in der Schule. Das Mädchen traut sich vielmehr zu, liest inzwischen auch in der Klasse vor und verweigert die Hausaufgaben nicht mehr. Der Appell an ihre Selbstständigkeit und die Begleitung über Sprachnachrichten waren genau der richtige Ansatzpunkt, der Svenja geholfen hat. Und das Klima in der Familie hat sich auch verbessert.
Mein Tipp: Wenn du mit deinem Kind wegen des Lesens in einem Dauerkonflikt steckst, gehe doch einmal neue Wege. Um das Lesen selber kommt dein Kind nicht herum. Das tägliche Üben ist sehr wichtig. Eine Lesebegleitung per schneller Sprachnachricht oder als gesprochenes Lesetagebuch kann verkrustete Strukturen aufbrechen. Und eine Belohnung für abgeschlossene Leseprojekte motiviert zusätzlich.