ADHS ist ein Schlagwort, unter dem sich jeder etwas anderes vorstellt. Doch wer sich mit der Störung auseinandersetzt, sollte genau wissen, worum es geht. ADHS teilt sich in verschiedene diagnostische Kriterien auf, die einzeln oder zusammen auftreten können. Über die Symptome Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe und Impulsivität wird eine Gruppe von Störungsbildern definiert, die in den gebräuchlichen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM IV als Hyperkinetischen Störungen (HKS) bzw. Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) beschrieben werden.
Die auftretenden Grundmerkmale bei ADHS sind:
- Störung der Aufmerksamkeit mit Mangel an Ausdauer bei Beschäftigungen und die Tendenz, Tätigkeiten zu wechseln, bevor sie zu Ende gebracht wurden.
- Unruhiges Verhalten insbesondere mit Unfähigkeit, stillsitzen zu können.
- Impulsivität z. B. mit abrupten motorischen und / oder verbalen Aktionen, die nicht in den sozialen Kontext passen.
Neben den Merkmalen ist der frühe Beginn der Störung entscheidend. Generell muss die Störung vor dem siebten Lebensjahr (also vor der Schule) und über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bestanden haben. In letzter Zeit wurde auch das Auftreten erster Symptome in der Pubertät diskutiert. Jungen sind deutlich häufiger betroffen als Mädchen.
Begleitende Faktoren bei ADHS
Häufiger als bei Nicht-Betroffenen treten bei Personen mit ADHS umschriebene Entwicklungsstörungen der Sprache, des Lesens und der Rechtschreibung (Legasthenie) und / oder Störungen des Sozialverhaltens und emotionale Störungen auf.
Die Bundesärztekammer beschreibt auf ihrer Homepage www.bundesaerztekammer.de die Kriterien für ein Vorliegen von ADHS wie folgt:
1.3 Forschungskriterien für Hyperkinetische Störungen gemäß ICD-10 [1]
G1. Unaufmerksamkeit:
Mindestens sechs Monate lang mindestens sechs der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.
Die Kinder
- sind häufig unaufmerksam gegenüber Details oder machen Sorgfaltsfehler bei den Schularbeiten und sonstigen Arbeiten und Aktivitäten,
- sind häufig nicht in der Lage, die Aufmerksamkeit bei Aufgaben und beim Spielen aufrechtzuerhalten,
- hören häufig scheinbar nicht, was ihnen gesagt wird,
- können oft Erklärungen nicht folgen oder ihre Schularbeiten, Aufgaben oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht erfüllen (nicht wegen oppositionellem Verhalten oder weil die Erklärungen nicht verstanden werden),
- sind häufig beeinträchtigt, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren,
- vermeiden häufig ungeliebte Arbeiten, wie Hausaufgaben, die geistiges Durchhaltevermögen erfordern,
- verlieren häufig Gegenstände, die für bestimmte Aufgaben wichtig sind, z. B. für Schularbeiten, Bleistifte, Bücher, Spielsachen und Werkzeuge,
- werden häufig von externen Stimuli abgelenkt,
- sind im Verlauf der alltäglichen Aktivitäten oft vergesslich.
G2. Überaktivität:
Mindestens sechs Monate lang mindestens drei der folgenden Symptome von Überaktivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.
Die Kinder
- fuchteln häufig mit Händen und Füßen oder winden sich auf den Sitzen,
- verlassen ihren Platz im Klassenraum oder in anderen Situationen, in denen sitzen bleiben erwartet wird,
- laufen häufig herum oder klettern exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen und Erwachsenen entspricht dem nur ein Unruhegefühl),
- sind häufig unnötig laut beim Spielen oder haben Schwierigkeiten bei leisen Freizeitbeschäftigungen,
- zeigen ein anhaltendes Muster exzessiver motorischer Aktivitäten, die durch den sozialen Kontext oder Verbote nicht durchgreifend beeinflussbar sind.
G3. Impulsivität:
Mindestens sechs Monate lang mindestens eins der folgenden Symptome von Impulsivität in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß.
Die Kinder
- platzen häufig mit der Antwort heraus, bevor die Frage beendet ist,
- können häufig nicht in einer Reihe warten oder warten, bis sie bei Spielen oder in Gruppensituationen an die Reihe kommen,
- unterbrechen und stören andere häufig (z. B. mischen sie sich ins Gespräch oder Spiel anderer ein),
- reden häufig exzessiv ohne angemessen auf soziale Beschränkungen zu reagieren.
G4. Beginn der Störung vor dem siebten Lebensjahr.
G5. Symptomausprägung
Die Kriterien sollen in mehr als einer Situation erfüllt sein, z. B. sollte die Kombination von Unaufmerksamkeit und Überaktivität sowohl zuhause als auch in der Schule bestehen oder in der Schule und an einem anderen Ort, wo die Kinder beobachtet werden können, z. B. in der Klinik. (Der Nachweis situationsübergreifender Symptome erfordert normalerweise Informationen aus mehr als einer Quelle. Elternberichte über das Verhalten im Klassenraum sind meist unzureichend.)
G6. Die Symptome von G1. – G3. verursachen deutliches Leiden oder Beeinträchtigung der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit.
G7. Die Störung erfüllt nicht die Kriterien für eine tiefgreifende Entwicklungsstörung (F84.-), eine manische Episode (F30.-), eine depressive Episode (F32.-) oder eine Angststörung (F41.-).
Im DSM IV ist die Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) breiter definiert als die Hyperkinetische Störung (HKS) in der ICD-10 [2].
Beide Klassifikationssysteme haben ihre Vor- und Nachteile, die weit gefasste diagnostische Kategorisierung nach DSM IV bedingt eine höhere Prävalenz. (siehe tabellarische Übersicht in Kapitel 2). Der unaufmerksame Subtyp von ADHS ist wissenschaftlich bisher nicht ausreichend untersucht (5).
Im Klassifikationsschema nach DSM IV sind als Kriterien für das Vorliegen von Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörungen die Symptome nach Punkt A1 (Unaufmerksamkeit) und Punkt A2 (Hyperaktivität und Impulsivität) vorgegeben. Erfüllt sein müssen sechs der neun diagnostischen Kriterien für Unaufmerksamkeit und / oder sechs der neun für Hyperaktivität und Impulsivität. Im Klassifikationsschema nach DSM IV wird nicht zwischen Forschungskriterien und klinischen Kriterien unterschieden.
1.4 Kriterienübersicht nach DSM IV
A. Entweder Punkt (1) oder Punkt (2) müssen zutreffen [3]:
A.1 Sechs (oder mehr) der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen:
Unaufmerksamkeit
- beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten,
- hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten,
- scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn / sie ansprechen,
- führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens oder von Verständnisschwierigkeiten),
- hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren,
- vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger andauernde geistige Anstrengungen erfordern wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben),
- verliert häufig Gegenstände, die er / sie für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt (z. B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug),
- lässt sich öfter durch äußere Reize leicht ablenken,
- ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.
A.2 Sechs (oder mehr) der folgenden Symptome der Hyperaktivität und Impulsivität sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen.
Hyperaktivität
- zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum,
- steht in der Klasse und anderen Situationen, in denen Sitzen bleiben erwartet wird, häufig auf,
- läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben),
- hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen,
- ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er / sie „getrieben“,
- redet häufig übermäßig viel (in ICD-10 als Impulsivitätsmerkmal gewertet).
Impulsivität
- platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist,
- kann nur schwer warten, bis er / sie an der Reihe ist,
- unterbricht und stört andere häufig (platzt z. B. in Gespräche oder Spiele anderer hinein).
B. Einige Symptome der Hyperaktivität, Impulsivität oder Unaufmerksamkeit, die Beeinträchtigungen verursachen, treten bereits vor dem Alter von sieben Jahren (bzw. sechs Jahren nach ICD-10) auf.
C. Beeinträchtigungen durch diese Symptome zeigen sich in zwei oder mehr Bereichen (z. B. in der Schule bzw. am Arbeitsplatz oder zu Hause).
D. Es müssen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen der sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsfähigkeit vorhanden sein.
E. Die Symptome treten nicht ausschließlich im Verlauf einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen psychotischen Störung auf und können auch nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden (z. B. affektive Störung, Angststörung, dissoziative Störung oder eine Persönlichkeitsstörung).
[1] Das Schema nach ICD-10 hat das alleinige Vorliegen einer Aufmerksamkeitsstörung oder von Hyperaktivität / Impulsivität nicht in die Hauptklassifikation aufgenommen, weil die „empirische prädiktive Validierung dieser Störungsbilder noch unzureichend ist …“. Unterschieden werden die einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung (F 90.0), die Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens (F 90.1) und sonstige bzw. nicht näher bezeichnete Hyperkinetische Störungen (F 90.8).
[2] Unzutreffenderweise wird das Syndrom auch häufig als ADS abgekürzt.
[3] Ein Mischtypus liegt vor, wenn die Kriterien der Punkte A1 und A2 während der letzten 6 Monate erfüllt waren (314.01), ein vorwiegend unaufmerksamer Typus, wenn das Kriterium A1, nicht aber A2 erfüllt waren (314.00) und ein vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Typus, wenn Kriterium A2, nicht aber A1 erfüllt ist (314.01). Die Typisierung in Subgruppen mit Überwiegen einzelner Symptome nach DSM IV ist empirisch noch nicht ausreichend abgesichert. Wie die Praxis gezeigt hat, wirft der überwiegend unaufmerksame Typus differentialdiagnostische Probleme auf, indem die entsprechende Symptomatik auch bei Störungsbildern vorkommt, die anderen diagnostischen Kategorien zuzuordnen sind.
Quelle: www.bundesaerztekammer.de