Der aktuelle Familienbericht der Bundesregierung beginnt mit einer Frage: „Liebe Leserinnen, liebe Leser, wie stärken wir Familien so, dass Kinder und ihre Eltern gut leben, lernen und arbeiten können? Dass sie sich wohlfühlen, finanziell abgesichert sind, Zeit füreinander haben und zuversichtlich in die Zukunft schauen?“ Ich lese die Frage und fühle mich verarscht. Letztlich geht es hier um Chancengleichheit, und die sehe ich nicht. Und ich bin sicher, das geht sehr, sehr vielen Eltern ebenso.
Eltern werden immer besorgter
Das Ziel soll eine familienfreundliche Gesellschaft sein, in der Chancengleichheit herrscht, doch davon sind wir weit entfernt. Das zeigt auch der Familienbericht. Hier wird es freundlich verklausuliert, Eltern seien anspruchsvoller geworden. Ich finde, Eltern sind besorgter, ängstlicher und verunsicherter. Wer sich die finanzielle und schulische Situation von Familien genauer ansieht, wird das durchaus nachvollziehen können. Die Startchancen von vielen Kindern sind zurzeit schlecht.
Das liegt nicht nur, aber selbstverständlich auch, am Homeschooling und der Pandemie. Neben den bestehenden sozialen Ungleichheiten steigen die Anforderungen im Berufsleben und die Bildungschancen werden trotz vieler Bemühungen nicht gleicher. Eine ganze Generation von Kindern wird gerade abgehängt, verlernt das selbständige arbeiten, bekommt nicht die notwendige Förderung und verliert soziale Fähigkeiten. Die Bundesregierung tut dagegen herzlich wenig.
Chancengleichheit bleibt ein Traum
Die Probleme in den Familien sind bekannt, zurzeit kommt nur noch eine erhöhte Belastung hinzu. Wer in Deutschland zu den folgenden Gruppen gehört, dessen Kinder können von Chancengleichheit nur träumen.
- Kinder allein erziehender (meist) Mütter
- Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund
- Kinder aus einkommensschwachen Familien
- Kinder mit kranken Eltern
Die Situation spitzt sich von Jahr zu Jahr mehr zu. Anstatt Geld und Ressourcen in das Bildungssystem zu pumpen, und zwar sinnvoll, wird die Entwicklung unserer Kinder sträflich vernachlässigt. Es gibt zu wenig Kindergartenplätze, die Schulklassen sind zur Folge, die Digitalisierung in den Schulen ist unterirdisch, Förderangebote gibt es viel zu wenig und auch Familienberatung oder Familientherapie ist Mangelware. In Deutschland gilt, wer es sich leisten kann, dessen Kind kann gute Schulen besuchen und voller Chancen in die Berufswelt starten.
Was sind die Probleme in Bezug auf die Schulbildung?
Wo fange ich an? Viele Schulen sind chronisch unterfinanziert und haben zu wenig Lehrpersonal. Die Klassen sind groß, es gibt viele Kinder mit Herausforderungen und wenig Unterstützung. Unterrichtskonzepte sind nicht einheitlich und oft veraltet. Es gibt zu wenig Lehrer Fortbildungen, zu wenig modernes Equipment und zu wenig qualitativ hochwertige Nachmittagsangebote.
Immer noch, und jetzt erst recht, wird das Lernen in Form von Hausaufgaben auf die Familien abgewälzt. Wer dazu keine Zeit hat oder den Lernstoff nicht versteht oder vermitteln kann, dessen Kinder haben einfach Pech gehabt. Es fehlen gute Konzepte in deutschen Schulen. Der Blick ins Ausland könnte dabei helfen, aber dazu besteht keine Bereitschaft.
Die psychische Gesundheit leidet
Nicht nur bei den Erwachsenen, sondern auch bei den Kindern breiten sich psychische Probleme, Ängste und Depressionen aus. Hier müsste qualifiziert und schnell eingegriffen werden, aber Beratungstermine oder Therapieplätze sind knapp. Oft kommt die Hilfe zu spät. Eltern werden mit diesen Problemen alleine gelassen, obwohl sie gerade jetzt viel Unterstützung brauchen könnten. All das zeigt auch der Familienbericht, aber folgen daraus Konsequenzen? Es sieht nicht so aus.
Klar, die Pläne klingen gut. Ausbau von Erziehung und Bildungspartnerschaften, Erhöhung der Qualität der Kinderbetreuung, Digitalisierung der Schulen und breitere Qualifizierung von Lehrkräften. Passieren wird davon nur wenig, denn neu ist das alles nicht. Deshalb frage ich Sie, Frau Giffey, meinen Sie das ernst? Papier ist geduldig, Familien sind es nicht mehr.