Verlierst du manchmal die Nerven, weil dein Kind so herumtrödelt? Immer der oder die letzte ist, vieles vergisst und manches einfach nicht mitbekommt? In diesem Fall könnte es sich um ADS hypoaktiv handeln, also die Aufmerksamkeitsstörung OHNE Hyperaktivität. Natürlich kann dieses Verhalten auch andere Ursachen haben, aber ein ADS-Syndrom solltest du einfach mitdenken und beim Kinderarzt oder der Kinderärztin ansprechen.
ADS hypoaktiv: Eine Frage des Tempos
Worum geht es dabei? Eine Gruppe von Jungen und Mädchen hat ein generelles Problem mit ihrem Tempo. Diese Kinder sind nicht dumm, können sich wunderbar selbst beschäftigen und kennen das Wort Langeweile nicht. Sie lernen lesen, schreiben und rechnen und haben ein sensibles Gespür für Mensch und Tier. Oft verfügen sie über eine große kreative Fantasie, die zu beeindruckenden künstlerischen Werken führt. Sie malen, lesen und machen Musik. Sie erfinden Geschichten, verlieren sich in Rollenspielen oder befassen sich mit den Wolkenformationen am Himmel. All das machen sie sehr intensiv und fast selbstvergessen, mit großer Hingabe und Begeisterung. Es sind tolle Kinder! Sie können viel, aber sie machen es auf ihre Art und in ihrer Geschwindigkeit. Sie sind langsam, verpeilt und verträumt.
ADS Hypoaktiv = irgendwie anders
Den enormen Anforderungen der Schule an Effizienz, Schnelligkeit, Konzentration und Disziplin sind sie nicht gewachsen. Ihr Lebens- und Arbeitstempo entspricht nicht den gesellschaftlichen Anforderungen, und das macht spätestens in der Schule große Probleme. Diese pflegeleichten Kleinkinder und Vorschüler, die sich so wunderbar selber beschäftigen können, stoßen nach der Einschulung auf eine Erwartungshaltung, die sie nicht erfüllen.
Leistung wird zum Problem
In der Schule können sie sich ihre Zeit nicht mehr selber einteilen, der Stundenplan bestimmt, was wann thematisiert und bearbeitet werden soll. Sie können nicht stundenlang Zahlen in Kästchen malen, sondern müssen ihre Rechenaufgaben in einem engen Zeitrahmen lösen. Anstatt den Eichhörnchen auf der Wiese vor dem Klassenzimmer zuzusehen, müssen sie sich auf den Unterricht konzentrieren. Spontanen Ideen und Einfällen können sie nicht nachgehen, ohne den Anschluss an den Unterricht zu verlieren. Transuse, Trödelheinz, Träumerchen, Lahmarsch und viele andere Bezeichnungen müssen Kinder mit ADS hypoaktiv über sich ergehen lassen. Aus den fröhlichen und zufriedenen Kindergartenkindern werden nach und nach traurige und frustrierte Schulkinder.
Spätzünder brauchen länger
Hinzu kommt, dass diese Kinder oft sogenannte Spätzünder sind, die auch ihre sozialen Interessen und Kompetenzen spät entwickeln. Sie hängen immer etwas hinter Gleichaltrigen hinterher und haben somit auch Schwierigkeiten, stabile Freundschaften aufzubauen.
Doch es scheint nicht leicht zu sein, die hypoaktiven ADS-Kinder im Alltag zu erkennen. Ob ein Kind einfach nur verträumt und etwas schwerfälliger als andere ist, ob es eine Lernbehinderung hat, durch Erziehungsfehler unangenehme Verhaltensweisen verfestigt hat oder wirklich an dem ADS-Syndrom leidet, muss von ausgebildeten Fachleuten detailliert und sorgfältig diagnostiziert werden.
Oft scheint die Grenze fließend zu sein, zeigt der „Träumer“ doch auch manchmal hyperaktive Züge und ist somit schwer einzuordnen. Auch die Betroffenen selber empfinden sich selbst weder als besonders verträumt noch als außergewöhnlich aktiv, denn ihnen fehlt der Vergleich, sie kennen sich ja nicht anders.
Betroffene Kinder sind anfangs „pflegeleichter“
Diagnostiziert und mit dem Namen ADS ohne Hyperaktivität bezeichnet wird diese Störung noch sehr viel seltener als die hyperaktive Variante des Syndroms. Warum dies so ist, liegt eigentlich auf der Hand. Die Kinder sind bis zum Schuleintritt weitgehend unauffällig, sie stören wenig und können sich stundenlang selber beschäftigen. Erst mit dem Eintritt in die Welt der Leistungsanforderungen zeigen sich die massiven Probleme, die ein aufmerksamkeitsgestörtes Kind zu bewältigen hat.
Eltern und Lehrkräfte sind ratlos
Da dies jedoch keine auffälligen körperlichen oder sozialen Verhaltensweisen sind, wie es bei hyperaktiven Kindern der Fall ist, sind Eltern und Lehrer meist ratlos. Oft werden diese Kinder als lernschwach und minderbegabt eingestuft, da sie aufgrund ihrer schlechten Aufmerksamkeit schon sehr bald den Anschluss an das Leistungsniveau ihrer Klasse verlieren.
Diese Einschätzung ist jedoch fatal, denn aufmerksamkeitsgestörte Kinder sind nicht weniger intelligent als andere Kinder. Unter ihnen gibt es viele durchschnittlich begabte und sogar hochbegabte Schüler und Schülerinnen, denen es allerdings nicht gelingt, ihr Potential auszuschöpfen. Sie benötigen Verständnis, Hilfe und Unterstützung.
Hier findest du sieben Tipps für LehrerInnen bei AD(H)S.
„Lasst uns nicht alleine!“
Allein gelassen mit ihrem andersartigen Wahrnehmungsstil, ihrem inneren Chaos und ihrer Traumwelt finden sie oft keine Möglichkeit, den Anforderungen unserer leistungsorientierten Gesellschaft zu genügen. Langsam aber sicher verzweifeln manche dieser Kinder an ihrem Schulversagen, an der ständigen Kritik von anderen, an den zerbrechenden Freundschaften und ihren Selbstzweifeln. Sie merken, dass sie anders sind, aber sie können alleine wenig daran ändern. (Buchtipps amazon)
Schulprobleme kommen nicht überraschend
Viele Eltern sind nicht wirklich überrascht, wenn ihr Kind in der Schule Probleme bekommt. Oft fragen sie sich schon einige Zeit vorher, ob ihr Kind die formalen und inhaltlichen Anforderungen der Schule bewältigen können wird. Trotz guter Intelligenz versäumen die ADS hypoaktiv Kinder durch ihre Träumerei nach und nach immer mehr Unterrichtsstoffe und es bilden sich langsam aber sicher große Wissenslücken, die nun zuhause von den Eltern aufgeholt werden sollen. Kurzum, mit dem Schuleintritt beginnt für diese Kinder eine schwierige Zeit, unter der in der Regel die ganze Familie stark leidet. Schnelle Hilfe ist Fehlanzeige, denn eigentlich können diese Kinder ja alles. Sie sind nur langsam und unkonzentriert. Was also tun, um in der Schule nicht zu versagen?
ADS hypoaktiv wird immer besser erforscht
Es ist nun der Zeitpunkt gekommen, das Kind von einer Psychologin oder einem Facharzt untersuchen zu lassen, um damit festzustellen, woher die Probleme kommen. Um das ADS Syndrom zu diagnostizieren ist es ratsam, sich an erfahrene PsychologInnen oder KinderärztInnen zu wenden. Auch hilfreich sind Selbsthilfegruppen in der Nähe, um dort eine Auswahl von Adressen zu erhalten.
ADS mit und ohne Hyperaktivität ist keine offensichtliche Störung, die man mit einem einfachen medizinischen Test feststellen kann. Das macht es auch immer noch sehr schwer, andere Krankheitsbilder und Störungen sauber von dem ADS-Syndrom zu trennen.
Für die Diagnose benötigt man Zeit und Erfahrung, um andere Störungen ausschließen zu können. Es gibt jedoch klare diagnostische Kriterien für ADS hypoaktiv, die in dem DSM-IV festgelegt sind.
Diagnostische Kriterien für AD(H)S
- Das Kind beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder bei anderen Tätigkeiten.
- Das Kind hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzuerhalten.
- Das Kind scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn/sie ansprechen.
- Das Kind führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zuende bringen (nicht aufgrund oppositionellem Verhaltens oder Verständigungsschwierigkeiten).
- Das Kind hat häufig Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren.
- Das Kind vermeidet häufig, oder hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die länger dauernde geistige Anstrengungen erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben).
- Das Kind verliert häufig Gegenstände, die für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt werden (z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher, Werkzeug).
- Das Kind lässt sich durch äußere Reize leicht ablenken.
- Das Kind ist bei Alltagshäufigkeiten häufig vergesslich.
Neben Verhaltenstherapie können auch Medikamente helfen
Da man als Ursache des ADS hypoaktiv Syndroms eine neurobiologische Störung vermutet, werden neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen auch Medikamente eingesetzt. Am bekanntesten und am besten untersucht ist das Medikament Methylphenidat (Ritalin), das in den USA schon seit 1937 verabreicht wird. Es bewirkt häufig, dass die Kinder sich besser konzentrieren können und ihre Aufmerksamkeit nicht so schnell erlahmt. Sie werden damit in die Lage versetzt ihr Verhalten zu registrieren und zu beeinflussen. Inzwischen gibt es aber eine ganze Reihe von Alternativen.
Unterstützung durch Aufklärung
Ganz zentral bei der Behandlung einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung (ADS hypoaktiv) ist die Information und Mithilfe aller Beteiligten. Nicht das Kind alleine muss sich verändern, sondern auch seine Umgebung ist stark gefordert. Eltern, Lehrer, Freunde und Bekannte brauchen umfassende Informationen über das Syndrom, um die Verhaltensweise des ADS-Kindes verstehen zu können. Erst wenn klar ist, dass das Kind nicht böswillig, dumm oder schlecht erzogen ist, sondern einen ganz eigenen Wahrnehmungsstil hat, kann eine wirksame Hilfe einsetzen.
Und erst wenn Eltern ihr Kind und dessen Verhaltensweisen verstehen lernen, können sie liebevoll und mit Gelassenheit den Alltag bewältigen. Schuldzuweisungen, emotionale Überreaktionen, Strafe und Schimpfen helfen weder den Eltern noch dem Kind aus ihrem Dilemma. Besser sind konsequente Fördermaßnahmen, das Stärken der Aufmerksamkeit, klare Richtlinien und viel Geduld beim Umsetzen.
Eltern von Kind mit AD(H)S, egal ob hyperaktiv oder hypoaktiv, können Hilfe, Verständnis und Unterstützung gut gebrauchen. Jeder kann etwas tun, nur hinter dem Rücken formulierte Vorwürfe an die Eltern helfen niemanden weiter und verändern die Lage auch nicht.