Na klar, als Lerntherapeutin liegt mir das Wohl der von Legasthenie oder Dyskalkulie betroffenen Kinder sehr am Herzen. Und ich habe jahrzehntelang ihre Interessen vertreten und beispielsweise bei Lehrkräften für motivierende Kommentare gekämpft. Intelligente Jungen und Mädchen, die mit der Rechtschreibung zu kämpfen haben, lernen und arbeiten oft doppelt so viel für die Schule wie Kinder ohne dieses Handicup. Da macht es traurig und betroffen, wenn diese Mühe nicht belohnt wird.
Jeder braucht Anerkennung
Immer wieder habe ich mich darüber geärgert, wenn unter den Aufsätzen oder Diktaten der Kinder keine positive Bemerkung zu finden war. Ich bekam oft hautnah in der Förderung mit, wie demotivierend manche Kommentare sein konnten. Da hatten die Jungen und Mädchen wochenlang für eine Arbeit geübt, sich schon viel mehr mit den Themen auseinandergesetzt als ihre Klassenkameraden, und dann trotzdem die fehlende Anerkennung von Lehrerinnen und Lehrern als „Dank“ erhalten. Oft war ich auf die Lehrkräfte ganz schön sauer.
Auch für Lehrkräfte ist es schwer
Im Laufe der Jahre habe ich jedoch nicht nur mit vielen Eltern und deren Kindern gearbeitet, sondern immer wieder auch mit Lehrerinnen und Lehrern. Anfangs fand ich es nahezu erschütternd, wie wenig sie auf die besonderen Herausforderungen der Schüler mit einer Teilleistungsschwäche vorbereitet wurden. Oft gab es weder im Studium, noch in Fortbildungen oder als Unterstützung durch einen speziellen Beauftragten an der Schule Hilfe. Viele hatten schlichtweg keine Ahnung, wie sie angemessen und motivierend reagieren sollten.
Manche sind engagiert – andere frustriert
Lehrerinnen und Lehrer reagierten darauf sehr unterschiedlich. Manche machten sich selber in ihrer Freizeit schlau und versuchten alles, um die betroffenen Kinder zu unterstützen. Andere, und das ist nicht selten vorgekommen, erklärten überzeugt, dass es gar keine Teilleistungsschwächen gäbe. Sie machten es sich leicht, oder? Und natürlich gab es auch die dritte Gruppe, die das Problem irgendwie ausgesessen hat. Schließlich wechselten alle Schülerinnen oder Schüler früher oder später die Klasse oder die Schule.
Die größte Gruppe der Lehrerinnen und Lehrer gab sich ein bisschen Mühe, so viel, wie es ihre Zeit eben erlaubte, und versuchte die Kinder mit Legasthenie oder Dyskalkulie irgendwie in den Unterricht zu integrieren. Genau diese Lehrer waren und sind es auch, die unter eine Arbeit solche Kommentare schreiben wie: „Schade, dass dein schöner Brief so viele Rechtschreibfehler hat.“ Zusätzlich werden alle Fehler rot markiert, sodass die ganze Arbeit wie ein Minenfeld aussieht.
Nicht alle Kommentare sind kritisch gemeint
Auf den ersten Blick erscheint der Kommentar recht wohlwollend. Immerhin wird der Brief als schön bezeichnet und die Anzahl der Fehler als kleiner Makel. Aus Sicht der Lehrerinnen und Lehrer ist dieser Kommentar keinesfalls vernichtend, sondern lediglich richtungsweisend. Aus Sicht der betroffenen Schülerinnen und Schüler sieht das jedoch ganz anders aus. Aus ihrem Gesamtwerk, dem Brief, dem Aufsatz oder der Klassenarbeit, wird genau der Teil hervorgehoben, mit dem sie sich schon die ganze Zeit so sehr abmühen. Der Finger wird in die Wunde gelegt und herumgedreht.
Für viele Kinder wirken solche Kommentare extrem demotivierend – das ist den Lehrkräften aber nicht bewusst, und es ist auch nicht gewollt. Die Kinder fühlen sich sowieso schon dumm und schlechter als die anderen. Ein solcher Kommentar lässt sie denken, dass ihr ganzes Lernen und Bemühen keinen Erfolg hat. Der Kommentar hat sicherlich keine böse Absicht, bewirkt aber auch nichts Positives. Im Gegenteil. Gerade Kinder mit einem schwachen Selbstbewusstsein könnten ihren letzten Funken Motivation verlieren, wenn ihr Bemühen um eine verbesserte Rechtschreibung so wenig berücksichtigt wird.
Wie könnte so ein Kommentar besser werden?
Demotivierender Kommentar |
Schade, dass dein schöner Brief so viele Rechtschreibfehler hat. Übe Zuhause alle markierten Wörter noch einmal und überlege, wie du sie richtig schreiben kannst, damit es beim nächsten mal besser wird. |
Motivierender Kommentar |
Du hast einen sehr schönen Brief geschrieben und dich sehr gut ausgedrückt. Alle Aspekte des Briefes hast du gut eingearbeitet. Deine Rechtschreibung muss sich noch verbessern, aber daran arbeitest du ja fleißig. Gut gemacht! |
Demotivierender Kommentar |
In deinem Aufsatz sind leider viel zu viele Fehler. Obwohl du das Thema gut bearbeitet hast, ist es schwer den Text zu lesen. Mit weniger Fehlern hättest du eine bessere Note bekommen. Übe das noch. |
Motivierender Kommentar |
Dein Aufsatz ist kreativ und einfallsreich. Du hast an die Einleitung, den Hauptteil mit Höhepunkt und an den Schluss gedacht. Auch deine Überschrift ist gut. Deine Rechtschreibung musst du noch verbessern. |
Mein Tipp: Kommentar wirken lassen
Versetzen Sie sich in die Situation des Kindes und lesen Sie den Kommentar aus dessen Sicht. Wie wirkt er? Was macht daran Mut? Was demotiviert?