Immer öfter werde ich in den letzten Monaten nach Empfehlungen für lerntherapeutische Praxen in Wiesbaden und Umgebung gefragt. Es scheint sehr schwer zu sein, einen Platz für das eigene Kind mit Legasthenie oder Dyskalkulie zu bekommen. Hat sich die Lage auf dem Lerntherapie-Markt so verschlechtert? Herrscht inzwischen ein Notstand an qualifizierter Hilfe?
Zentrale Fragen rund um die Lerntherapie?
Diese Frage kommt eigentlich gleich nach der Frage über eine Finanzierung der Hilfe für das eigene Kind. Sobald in der Schule das Thema Legasthenie oder Dyskalkulie angesprochen wird, suchen die Eltern nach Unterstützung. Wer macht die Diagnose? Wo kann ich mein Kind fördern lassen? Und wer übernimmt dafür die Kosten? Wichtige Fragen für junge Familien mit einem durchschnittlichen Einkommen.
Der Lerntherapie-Notstand macht große Sorgen
Aus verschiedenen Gründen gibt es zumindest in Wiesbaden, ich befürchte aber auch bundesweit, nicht mehr genug Lerntherapeutinnen und Lerntherapeuten.
- Förderung ist nur noch im späten Nachmittagsbereich, im Anschluss an die Schule, möglich. Durch die Ganztagsschulen „streiten“ sich Vereine und andere Freizeitangebote um die kostbare Restzeit der Kinder. Für lerntherapeutische Praxen bedeutet das, dass nur ein schmales Zeitfenster von ca. 4 Stunden täglich für die Ausübung der Therapie genutzt werden können. Dadurch sind die Einnahmen sehr gering.
- In den Schulferien (ca. 3 Monate im Jahr) gehen die Einnahmen gegen null.
- Abgesagte Stunden, wegen Krankheit oder anderen Terminen, können nicht abgerechnet werden.
- Zusätzliche Arbeitszeit (Gespräche mit Eltern, Fachkräften, Lehrkräften oder dem Jugendamt) kann nicht abgerechnet werden.
- Der Stundensatz, der vom Jugendamt übernommen wird, steigt nur langsam. Bewilligungen dauern oft lange, sodass freigehaltene Plätze ein Risiko sind und kein Geld einbringen.
Privatzahler bekommen schneller einen Platz
Klar, wer lange Wartezeiten umgehen möchte, kann sich mit Geld einen Therapieplatz „erkaufen“. Da sind 90,- € pro Stunde sicher nicht verwunderlich. Und auch eine Diagnose kann man sich für 800,- € kaufen. Doch ist das seriös? Ich denke nicht. Wer die Diagnose „Legasthenie“ oder „Dyskalkulie“ stellt, sollte die Therapie nicht auch durchführen dürfen. Der TÜV stellt ja auch nicht Löcher in der Karosserie fest, um sie dann in der hauseigenen Werkstatt nebenan zu stopfen. Das hat ein „Geschmäckle“, auch wenn es auf dem Privatzahlermarkt nicht illegal ist.
Werden die Kosten für eine Lerntherapie über das Jugendamt bezahlt, sieht das anders aus. Hier sind Diagnostik und Therapie streng voneinander getrennt. So wird verhindert, dass sich lerntherapeutische Einrichtungen selber ihre Klienten „zuschustern“. Schließlich ist der Begriff Lerntherapeut nicht geschützt – jeder kann sich so nennen, leider.
Irgendwo muss das Geld ja herkommen
Nicht wenige Familien müssen die zusätzlichen Kosten über einen Nebenjob decken. Manchmal springen auch die Großeltern ein und finanzieren die Stunden der Lerntherapie. Das ist weder gerecht noch wünschenswert. Nur Eltern, die es sich leisten können, kommen in den Genuss einer Lerntherapie für ihr Kind. Bildungsgerechtigkeit sieht anders aus.