Gitarrenunterricht, Fußballtraining, Abwasch, Schachclub, Hausaufgaben, Kochen, Spielverabredungen…
Und wie sieht euer Nachmittag so aus?
Wenn nach langem Hin und Her dein Kind auch noch eine LRS Diagnose bekommt und die Schule euch schon angesprochen hat, dass euer Kind eine Lerntherapie machen soll, stellt sich die Frage: ja gerne, aber wann?
Die nächste qualifizierte Lerntherapeutin sitzt 20 km entfernt, Fahrzeit im Feierabendverkehr? Schwer einzuschätzen. 45 Minuten Therapiezeit. Und dann wieder zurück. Macht nichts, wahrscheinlich ist sowieso kein Platz frei und ihr steht noch ein paar Monate auf der Warteliste.
Was ist Lerntherapie?
Unter integrativer Lerntherapie versteht man eine Therapieform zur Behandlung von Lernstörungen wie Legasthenie (Lese-Rechtschreibstörung) und Dyskalkulie (Rechenstörung). Etwa sechs bis acht Prozent der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen sind von einer Lernstörung betroffen und haben daher erhebliche Schwierigkeiten Lesen, Schreiben und/oder Rechnen zu erlernen.
Geht das auch online?
Spätestens in der Zeit der Corona-Pandemie fand die Möglichkeit der Online-Version von Schulunterricht, Therapie, Nachhilfe, Yoga-Kurs und vielem mehr zunehmend Beachtung.
Im Grunde unterscheidet sich eine Online-Lerntherapie nur geringfügig von einer Präsenz-Lerntherapie und es kann von einer vergleichbaren Wirksamkeit ausgegangen werden. Findet die Therapie Online statt, können die entsprechenden Materialien und (Lern-)Spiele angepasst an das Arbeiten per Video genutzt werden. Der Umgang mit passenden Apps und auch die Nutzung von Videoportalen kann im Rahmen der Therapie geübt werden und unterstützt den Lernprozess somit auch über die Lerntherapie hinaus.
Vorteile der Online-Lerntherapie
Zeitersparnis
Streicht die Fahrzeit zur Therapie und die Wartezeit währenddessen aus eurer Planung. Auch euer Kind kann die gewonnene Zeit vor und nach der Therapiestunde sicher gut für andere Dinge nutzen.
Flexibilität
Euer Kind kann in seinem Zimmer am eigenen Schreibtisch sitzen und bequem an der Therapie teilnehmen. Am Dienstag ist aber immer Oma-Tag? Ihr seid im Urlaub oder im Garten? Zu Hause sind die Handwerker und konzentrieren unmöglich? Egal wo ihr seid: gibt es Internet und ein ruhiges Zimmer für euer Kind, steht der Lerntherapie nichts im Wege.
Passende Unterstützung
Habt ihr euch für eine Online- Lerntherapie entschieden, habt ihr eine Auswahl von gut qualifizierten Fachleuten, egal aus welcher Stadt. Wer ist passend spezialisiert und wen findet ihr und euer Kind sympathisch? Denn: Die Beziehung zwischen eurem Kind und der gewählten Person ist die Grundlage für eine gelingende Lerntherapie.
Setting
Auch wenn die Aufgabe dieselbe ist: Würde dein Kind sie lieber am Computer oder auf dem Papier erledigen? Da die Kinder bereits viele Stunden in der Schule verbracht haben und vermutlich die meiste Zeit in Büchern, auf Arbeitsblättern oder an der Tafel gearbeitet haben, motiviert bereits das Online-Setting viele Kinder mehr, als noch mehr Papier.
Auch die Integration von Online Tools und das Arbeiten auf verschiedenen Plattformen bietet Vielseitigkeit und Abwechslung.
Wie funktioniert online Lerntherapie?
Die Lerntherapie zielt darauf ab, negative Lernstrukturen in positive umzuwandeln, insbesondere bei Kindern mit Lernstörungen. Diese Kinder haben häufig durch wiederholte Misserfolge das Vertrauen in ihre Fähigkeit verloren, grundlegende Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen zu erlernen. Ihr innerer Dialog ist oft von Selbstzweifeln geprägt, was ihren gesamten Lern- und Entwicklungsprozess beeinträchtigt.
Der „Teufelskreis der Lernstörungen“
Dieter Betz und Helga Breuninger beschrieben 1982 den „Teufelskreis der Lernstörungen“, der aus drei sich negativ verstärkenden Kreisläufen besteht:
- Leistungserwartung: Kinder spüren hohe Erwartungen, die sie nicht erfüllen können.
- Versagen und Misserfolg: Das Nichterfüllen dieser Erwartungen führt zu Versagen und Misserfolgserlebnissen.
- Misserfolgserwartung: Diese Misserfolge verstärken die Erwartung weiterer Misserfolge, was die Leistungserwartung weiter negativ beeinflusst.
Ziele der integrativen Lerntherapie
Die integrative Lerntherapie hat das Ziel, diese Negativspirale zu durchbrechen und ein positives Lernumfeld zu schaffen. Dies wird durch folgende Maßnahmen erreicht:
- Lern- und Beziehungsdialoge: Diese Dialoge beeinflussen den inneren Dialog des Kindes. Der Beziehungsdialog ist von Ermutigung und Vertrauen in die Entwicklung des Kindes geprägt. Der Lerndialog konzentriert sich darauf, Lerninhalte kindgerecht aufzubereiten, zu vermitteln und zu verarbeiten.
- Erfolgserlebnisse: Die Lernangebote werden so gestaltet, dass das Kind von Anfang an Erfolge erzielt und diese Erfolge sich selbst zuschreibt, was zu einem Gefühl der Selbstwirksamkeit führt.
- Entwicklungsangemessene Aufgaben: Die Aufgaben sind motivierend, attraktiv und respektvoll gestaltet. Fehler werden als Lernmöglichkeiten betrachtet und genutzt, um die Denkprozesse des Kindes zu verstehen und weiterzuentwickeln.
Rolle der Lehrtherapeutinnen
Lerntherapeut*innen lenken den Lernprozess so, dass das Kind weder unter- noch überfordert wird. Sie sorgen dafür, dass das Kind die Schriftsprache und das Rechnen als bedeutungsvoll erlebt, zunehmend versteht und Vertrauen darin gewinnt, diese Fertigkeiten zu erlernen.
Durch gezielte Interventionen und eine unterstützende Lernumgebung kann die Lerntherapie Kindern mit Lernstörungen helfen, ihr Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten wiederzugewinnen und ihren Lernprozess erfolgreich zu gestalten.
Wirkungsgefüge des Lernens nach Betz & Breuninger: Teufelskreis Lernstörungen (1982)
Ablauf einer Online Lerntherapie
Eignungstestung
In der ersten Sitzung lernen wir uns kennen und führen Tests zur Lesegeschwindigkeit, zum Leseverständnis und zur Rechtschreibfähigkeit deines Kindes durch. Auf Grundlage der Testergebnisse wird ein maßgeschneiderter Therapieplan erstellt und ein detaillierter Diagnosebericht in einem gemeinsamen Gespräch besprochen.
Lerntherapie über Zoom
Qualifizierte Lerntherapeuten führen die integrative Lerntherapie auf pädagogisch-didaktischer und therapeutischer Ebene durch. In wöchentlichen Einzelstunden werden Fehlerquellen analysiert, Strategien entwickelt und reflektiert. Dabei wird auf Erfolgserlebnisse geachtet, das Selbstbewusstsein gestärkt und der Umgang mit Angst und Leistungsdruck vermittelt.
Training für Zuhause
Eine gute Lerntherapie bietet auch außerhalb der wöchentlichen Sitzungen Unterstützung. Ziel ist es, die Motivation deines Kindes zu fördern und die natürliche Freude am Lernen wiederzuentdecken. Mit einem spielerischen Ansatz und dem Einbezug persönlicher Interessen wird die Lernfreude gestärkt. Lernspiele und andere Materialien können sowohl in den Therapiesitzungen als auch zu Hause genutzt werden. Mit Spaß lernt es sich leichter und Motivation kann entstehen und wachsen.
Umfeldarbeit
Die Lerntherapie umfasst auch die Arbeit mit den Eltern und die Schulsituation des Kindes. Regelmäßige Elterngespräche besprechen die Therapiefortschritte und geben Ratschläge zum Umgang mit Legasthenie sowie zum LRS-Training zu Hause. Zudem zielt die Therapie darauf ab, den Druck des Schulalltags zu minimieren. Sie berät, wie die LRS des Kindes in der Schule kommuniziert werden kann und bietet Gespräche mit Lehrkräften an, um Chancengleichheit durch individuelle Unterstützung, Nachteilsausgleich und Notenschutz zu gewährleisten.
Wann eine Präsenz-Lerntherapie die bessere Idee ist
Hat dein Kind motorische Schwierigkeiten beim Schreiben, große Probleme, Konzentration und Motivation aufrechtzuerhalten oder leidet unter starker motorischer Unruhe, solltet ihr eine Präsenz Therapie in Betracht ziehen. Auch eine stabile Internetleitung ist Voraussetzung für eine Online Lerntherapie.
Online oder Präsenz?
Online Lerntherapie kann gut funktionieren und bietet der Präsenz Therapie gegenüber sogar Vorteile. Natürlich ist jedes Kind und jede Situation um das Kind herum unterschiedlich.
Eine individuelle Beratung kann euch helfen, die richtige Unterstützung für euch und euer Kind zu finden.