Lehrerinnen und Lehrer können jetzt endlich wieder zum Friseur gehen, die Nägel maniküren lassen oder ein Fitnessstudio besuchen. Und sie dürfen mit ihrer neuen Frisur auch wieder im Klassenzimmer unterrichten, zumindest kleine Gruppen in der Schule. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass die ganze Situation nach wie vor sehr unbefriedigend ist. Von Normalität kann nämlich in der Schule keine Rede sein.
Virenschleuder Klassenzimmer
Die Lockerungen in der Coronakrise gestalten sich bezüglich der Schulöffnung als ein einziges großes Chaos. Was im Fernsehen oft so strukturiert und geregelt aussieht, ist in der Realität ganz anders. Es mag ja sein, dass es Klassenzimmer gibt, in denen die Schüler mit viel Abstand zueinander sitzen und konzentriert arbeiten. Und danach? Vielleicht werden solche Bilder für Fotografen gemacht, die über das positive Verhalten von Abschlussklassen berichten. Ich habe mich in meinem Umfeld ungehört und ganz andere Dinge festgestellt.
Zehntklässlern geht Corona am Arsch vorbei
Wer sich dieser Tage in den Bus setzt und Schüler beobachtet, kann definitiv die Krise bekommen. Der Mundschutz wird zwar lässig um den Hals getragen und im Bus auch aufgesetzt, jedoch ohne die Hygieneregeln zu beachten. Die Jugendlichen fallen sich in die Arme, sitzen nebeneinander, zeigen sich Videos auf dem Smartphone und haben wenig Respekt vor dem Corona Virus. Ihr Mundschutz wird immer wieder berührt, auf- und abgezogen, umgedreht und in den Ranzen gesteckt.
Was interessiert mich das Virus?
Auch auf dem Schulhof oder in den Gängen der Schulen ist die Situation ganz ähnlich. Im Unterricht mit Abstand gewahrt, aber sobald dieser vorbei ist, werden alle Regeln vergessen. Dieses Verhalten ist in der Pubertät ganz normal, denn schließlich möchte man sich gegen die Erwachsenenwelt abgrenzen. Virus hin oder Virus her. Über die Folgen denken viele Jugendliche nicht nach, denn sie sind ja auch selber oft nicht gefährdet. Aufgabe der Pädagogen ist und war es schon immer, hier regulierend einzugreifen. Doch können Schulen das leisten?
Schulen sind sehr schlecht vorbereitet
Hygienepläne bestehen nur teilweise und oft nur auf dem Papier. Es gibt hunderte von Fragen, die in den Schulen nicht beantwortet werden können. Rein theoretisch können sie wieder öffnen, aber praktisch ist die Reihe der Probleme unendlich lang. Die Hygiene ist und war in einer Vielzahl von deutschen Schulen grottenschlecht. Bisher war das nicht so ein großes Problem, denn lediglich die Schüler jammerten darüber, nicht aufs Klo gehen zu wollen. Die Lehrertoiletten waren oft o. k. und ein bisschen Staub und Schmutz in den Ecken der Klassenzimmer hat auch niemanden gestört. Das sieht jetzt ganz anders aus. Da kann man Angst vor der Schule bekommen, oder?
Die brennenden Hygiene Probleme in den Schulen
- fehlende Reinigungskräfte, die sich auch mit der Beseitigung von ansteckenden Viren auskennen
- sanitäre Anlagen, die so veraltet sind, dass auch eine Reinigung die Ansteckungsgefahr kaum verhindert
- veraltetes Mobiliar im Klassenzimmer, in dessen Ritzen und Rillen sich Viren und Bakterien besonders wohlfühlen
- fehlende Waschbecken, Seife und Papierhandtücher
- keine Desinfektionsmittel im Klassenraum
- Fenster, die sich teilweise gar nicht öffnen lassen
- Türen, die teilweise nicht richtig schließen, ständig zufallen oder klappern
- enge Gänge, in denen Schülerinnen und Schüler keinen Abstand voneinander halten können
- uneinsehbare Ecken auf dem Schulhof, wo sich die Kids nahe kommen
Wer ist verantwortlich für die Sauberkeit?
Immer wenn sich eine Klasse bewegt, wenn der Lehrer wechselt, wenn der Raum verlassen wird oder die Schülerinnen und Schüler kommen und gehen, besteht Ansteckungsgefahr. Ernst gemeinte Hygienerichtlinien gehen davon aus, dass nach jedem Schüler dessen Platz und der Raum desinfiziert werden muss. Genauso wie jeder Schüler desinfiziert werden muss, wenn er am Lehrerpult stand, um sich beraten zu lassen. Doch wer soll das einhalten? Wer geht nach jeder Stunde durch den Klassenraum und desinfiziert dort Tische, Stühle, den Boden und die Türklinken? Die Lehrkräfte? Vielen Dank!
Was ist mit Fremdunterricht?
Viele Schulämter und Schulen haben ihre Räume untervermietet, insbesondere an Musikschulen. Diese nutzen die Räumlichkeiten am Nachmittag und bieten dort AGBs oder Workshops an. Die Verantwortlichen dieser Kurse sind in der Regel keine Lehrerinnen und Lehrer, sondern freiberuflich tätig. So sind zum Beispiel die unterrichtenden Musikschulen Schlagzeuger, Gitarristen oder Pianisten. Sie sind nicht pädagogisch geschult, unterstehen nicht der Schule und können so auch nicht dazu angehalten werden, ihre Schüler zu desinfizieren oder den Klassenraum nach jeder Stunde zu reinigen. Sollen die AGs, der Musikunterricht oder die Bastelangebote jetzt ausfallen? Theoretisch dürfen die Musikschulen jetzt wieder öffnen, aber praktisch ist das kaum machbar.
Lehrende als Hygienepolizei und Putzkolonne
Kein Wunder, dass sich viele Lehrerinnen und Lehrer jetzt aufregen. Nicht nur, dass sie die Notfallbetreuung stemmen und ihre Kollegen aus der Risikogruppe vertreten, jetzt sollen sie auch noch das Einhalten der Richtlinien kontrollieren und die Klassenzimmer reinigen. Als Arbeitnehmer des Bundes, teilweise als Beamte, müssen Sie den Vorgaben ihres Dienstherrn vermutlich folgen. Doch im Hinblick auf die Pädagogik ist das kontraproduktiv.
Wer kann so schon lernen?
Unterricht ist meiner Ansicht nach in dieser Form überhaupt nicht möglich. Es ist ein halbherziges Beibehalten an alten Strukturen, die momentan nicht angesagt sind. Sehr viel sinnvoller wäre es, den Fernunterricht auszuweiten und auf stabile Füße zu stellen. Regelmäßige Videokontakte, ab und zu ein Treffen in Kleinstgruppen in der Schule und darüber hinaus jede Menge Fortbildungen für Lehrer und Lehrerinnen bezüglich des E-Learning wären jetzt angesagt. So könnte die Krise wirklich sinnvoll genutzt werden.